8 July 2012

Schatzjagd im Sorbenland

Schatzjagd im Sorbenland

Tomaš Kappa / Ralph Th. Kappler






Ein Jahrtausend schon und länger dulden wir uns brüderlich. 
Du, du duldest, daß ich atme. Daß du rasest, dulde ich.“  
(Heinrich Heine „An Edom“)





Erzählt wird hier die Geschichte von Deutschlands kleinem Geheimnis. Sorben dürfen Folklore für Sonntagsausflügler tanzen. Ihre Rechte aber werden missachtet. Wie der Staatssender MDR gerade enthüllte, werden unwiederbringliche Kulturlandschaften und zahlreiche sorbische Dörfer der Lausitz unter Berufung auf in der Nazizeit eingeführte Braunkohleverordnungen zerstört. Die Sorben sind die kleinste slawische Nation und eine nationale Minderheit in Deutschland, die in der sich über die Bundesländer Brandenburg und Sachsen erstreckenden Lausitz lebt. Sie kultivierten die Lausitz und leben dort seit über 1600 Jahren, stets unter deutschem Druck, ihre Zivilisation und slawische Identität aufzugeben.









Der Rechtsstaat Deutschland drückt so bis heute mit Zwangsgesetzen im großen Stil Enteignungen von Wohnhäusern und Grundstücken durch. Also mit Zwangsgesetzen, die für Hitlers Kriegswirtschaft eingeführt wurden! Diese Willkür wurde von der Bundesrepublik systematisch vor dem Ausland verheimlicht. Damit nicht genug. Denn zur Zerstörung sorbischer Kulturwelten bedient sich Deutschland seit einigen Jahren auch des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall. So sind wir Zeuge eines Skandals, bei dem selbst das Vorzeigeland Schweden auf sinisteren Umwegen von Nazi Verordnungen profitiert. Denn nur mit der Drohkulisse von Zwangsenteignungen kann Vattenfall den ungezügelten Braunkohleraubbau in der Lausitz forcieren.   


"Ein Viertel unserer Nation ist von der Kohlelobby aus der Heimat gezwungen worden. Sorben stehen mit dem Rücken zur Wand", warnte Jan Nuk, der Vorsitzende des sorbischen Nationalverbandes Domowina in der Londoner Foreign Press Association. Wenig später öffnete sich das Tor zum Buckingham Palace für die Sorbenvertreter. Sorben brachten 2002 das erste Auslandsgeschenk überhaupt zum„Golden Jubilee“ von Königin Elisabeth II. nach London. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wagten damit Sorben wieder einen Vorstoß in der britischen Hauptstadt. 1946 hatten sie dort vergeblich um die Angliederung des Sorbenlandes an die Tschechoslowakei geworben. 






Lusatia briefing at Foreign Press Association, London May 2002
(Jan Nuk, Domowina Chairman, left / Tomaš Kappa / Ralph Thomas Kappler, centre)





 
Bereits vor anderthalbtausend Jahren wurde die Lausitz von Sorben kultiviert. Die Lausitz, oder Lužica, wie das wasserreiche Land von dessen „First Nation“ zärtlich genannt wird, ist eine der ältesten und an Bodenschätzen wie Gold, Platin, Kupfer und seltenen Erden reichsten Kulturlandschaften Europas. Diese Schätze können sich als Segen für die von der Kohlelobby als strukturschwach stigmatisierte Region erweisen. Aber es fehlt an couragierter Politik. 


Doch es gibt noch einen kleinen Funken an Zuversicht. Unlängst gab es einen ersten Versuch, über den SERBSKI SEJMIK ein eigenständiges sorbisches Parlament zu schaffen. Stanislav Tillich ist der erste sorbische Ministerpräsident. Musiker der Kultband Silbermond sprechen Sorbisch. Im mit "brillianten Stars" wie Daniel Brühl und Robert Stadlober besetzten und von den 20th Century Fox-Studios vertriebenen Fantasy-Abenteuerfilm KRABAT fehlt jedoch der einfache Hinweis, dass der Bestseller KRABAT ursprünglich als sorbisches Freiheitsepos von Měrćin Nowak-Njechorński herausgegeben wurde.







Mädchen aus Sorbischer Lausitz (Foto by Iwajla Klinke)






    136 ausgelöschte Dörfer

      Werner Domain und seine Frau waren die letzten Bewohner des Dorfes Horno. Das Rentnerpaar hatte den mit Angeboten umkränzten Einschüchterungen der Kohlestromer bis zuletzt widerstanden. Sie waren beide über siebzig und pflanzten selbst noch einen Lindenbaum vor das Haus, als sich die Kohlebagger schon in brachialem Lärm und Staubwolken an den Familiensitz herangefressen hatten. Horno war da verlassen und zerstört wie nach einem Krieg. Über 136 Dörfer verschwanden mitten in Deutschland, dem Land der selbsternannten Technologie- und Ökoweltmeister, in Lausitzer Kohlekratern. Damit wurde auch die Auflösung des sorbischen Volkes beschleunigt. Auf dem Internetportal www.verschwundene-orte.de finden sich klangvolle sorbische Ortsnamen wie Publik, Bukowina, Horno, Barak, Rowno oder Lacoma.

Sie schweben noch als Echo über einer in Kohlegruben versunkenen Welt. Horno wurde vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall zerstört, obwohl es dort nicht einmal erschließbare Kohle gab. Heute ist vor allem die sorbische Region Schleife bedroht. Die Lausitzer Bergbau AG verkündet euphemistisch, dass sie über 750 Quadratkilometer Land "in Anspruch genommen hätte". Dabei handelt es sich um die Zerstörung eines Gebietes von der Größe des Stadtstaates Hamburg. Prof. Joachim Katzur, Leiter des Institutes für Bergbaufolgelandschaften, wird in einem ZEIT-Gespräch konkreter: "Eigentlich beeinträchtigt der Lausitzer Bergbau eine viermal so große Fläche, wenn die Landstriche, in denen der Fluss des Grundwassers gestört ist, dazu gerechnet werden."

Damit wurden über 3000 Quadratkilometer fruchtbaren Lausitzer Landes dem unersättlichen Braunkohleabbau geopfert. 3000 Quadratkilometer Land sind mehr als die Fläche des Fürstentums Luxemburg. 3000 Quadratkilometer Land entspricht der Hälfte der palästinensischen Gebiete. Die Lausitz als Ganzes ist vergleichbar mit der Größe des EU-Staates Belgien. In Deutschland wurden tausende Quadratkilometer fruchtbaren Bodens in Braunkohle Kratern vernichtet. Dieser Menschen gemachte Eingriff in die Natur ist die schwerwiegendste Umwälzung der Erdoberfläche seit der letzten Eiszeit.





    Märchen von sauberer Kohle


    „Wenn wir den globalen Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir so schnell wie möglich von der Kohle weg“,fordert Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn gerade Braunkohle ist wegen ihres niedrigen Wirkungsgrads und des bei der Verstromung produzierten Treibhausgases CO2 extrem klimafeindlich. Doch es geht mehr verloren als nur der Kampf ums Klima. "Carbon Capture & Storage" ist ein aufgeblasenes Zauberwort von Vattenfall, RWE und Co. Ziel dieser Versuchstechnik soll die Verringerung von CO2-Emissionen durch unterirdische Lagerung sein. "CCS ist doch eher ein Instrument, Investitionen in regenerative Energien zu blockieren und so oligarchische Strukturen zu zementieren“, erwidert die Energieexpertin der Grünen, Astrid Schneider. In Sachsen wurde eine Landtagsanhörung kürzlich zum Offenbarungseid. Der als Sachverständiger geladene Vattenfall-Vorstand Hubertus Altmann gestand dem Parlament, dass die CCS-Technologie erst Mitte des nächsten Jahrzehnts großtechnisch verfügbar sein würde.




Lusatian Village - Associated Press AP








    Schatzgräber unter panamaischer Flagge

     In der Sorbenheimat wurden Edelmetalle im mehrstelligen Milliardenwert entdeckt, darunter Gold, Platin, Silber, Zink und auch über 2,7 Millionen Tonnen Kupferschiefer. Schon für eine einzige Tonne Kupfer lassen sich Weltmarktpreise von bis zu 10.000 Euro erzielen. Die KSL Kupferschiefer GmbH bewirbt sich um Schürfrechte in der Lausitz. Bei der KSL dominiert das Matrjoschka-Prinzip. Denn die GmbH ist nur eine Tochter der unter panamaischer Flagge schürfenden Minera S.A.; die wiederum nur eine Tochter der kanadischen Inmet Mining ist. Inmet Mining steht dann unter Leitung eines Aachener Geologen, des CEO Jochen Tilk. Die ausstehende Bürgerbeteiligung könnte nun für etwas Vertragstransparenz sorgen. Ein Happy End wird die euphorische Schatzsuche aber nur finden, wenn neben Arbeitsplätzen auch satte Gewinne in die Region fließen; so Investitionen in Bildung, in Lausitzer Hochschulen und die sorbisch-deutsche WITAJ Sprachinitiative. Hier setzt der Nuk-Nachfolger David Statnik den Hebel an: "Wenn Schürfrechte an Konzerne für Kohle, Kupfer, Gold oder Platin vergeben werden, muss man wie im Ruhrgebiet auch in der Lausitz einen Obolus für jede Tonne geförderter Bodenschätze aus Steuereinnahmen entrichten." Damit ließen sich Infrastrukturen, sorbische Sprachprojekte und regionale Hochschulen finanzieren, wo mehrsprachige Angestellte Arbeit finden und zukunftsträchtige Branchen entstehen.“




Over 130 destroyed villages - Strip Mining by Vattenfall in Lusatia







    Nach der Diktatur nur gelenkte Demokratie

     Über Jahrhunderte wurden Sorben unterdrückt. Ihnen war es sogar verboten, Hunde oder Pferde zu halten. Auf die kurze Blütezeit der Aufklärung folgte wieder brutaler Assimilierungsdruck. Tausende Lausitzer Familien wurden zwangsgermanisiert. Ein frühes Schlüsselereignis datiert auf das Jahr 939. Da hatte Markgraf Gero martialisch Karierre gemacht. Den Aufstieg verdankte er einem blutigen Gastmahl. Mit Hinterlist lud er dreißig Sorbenfürsten zu einem Festessen, um sie zu meucheln. So nahm Gero den dem deutschen Landraub widerstehenden Slawen die Führungsschicht. Doch wie schaut es heute aus? "Auch zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution gibt es keine Selbstbestimmungsrechte. Wir Sorben sind weiterhin fremdbestimmt", klagt Benedikt Dyrlich an. Als Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundes kritisiert er das mangelnde Mitspracherecht der Sorben in ihrer Heimat. Bei der Domowina, dem Dachverband der Sorben, ruht man sich derweil noch auf aus DDR-Zeiten überkommenen Strukturen aus.

Auch Markus Meckel kennt sich in der Materie aus. Er nahm als erster frei gewählter und letzter DDR-Außenminister an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs teil. Ironisch bemerkte er kürzlich in Brüssel: "Die Sorben könnten doch besser fahren, wenn sie sich als First Nation samt der Lausitzer Bodenschätze selbständiger machen." Als Meckel nach dem von Innenminister Schäuble mit heißer Nadel zusammengeflickten Einigungsvertrag gefragt wird, weicht er aus. Der Einigungsvertrag "wäre als Außenminister nicht so seine Baustelle gewesen". Die auch von den DDR-Bürokraten nur pervertierte Frage, wem der angestammte Grund und Boden im Sorbenland gehört, bleibt das Zünglein an der Waage. Denn wer die rechtmäßigen Eigner der Lausitz und ihrer Bodenschätze sind, ist bis heute nicht geklärt und auch nicht die Legitimität der vergebenen Schürfrechte.






Sorbisches Dorf Horno - zerstört von Vattenfall (Foto Gerard Petit)








    Reden ist Gold


     Marka Macijowa, die Leiterin des Sorbischen Nationalverlages, konzentriert sich auf die Basisarbeit sorbisch-deutscher Sprachpflege. „Die sorbische Sprache wird nur überleben, wenn Eltern sie an Kinder weitergeben. Wenn auch Deutsche das Eigene im Anderen der Sorben respektieren“, mahnt Macijowa.

Derweil knüpfen Sorben auch Kontakte in Berlin, Prag oder Brüssel. So war Jerzy Buzek Schirmherr der diesjährigen Internationalen Konferenz sorbischer Musik. Buzek organisierte als junger Mann aus dem Untergrund die Solidarnosz-Bewegung in Schlesien. Heute ist er amtierender EU-Parlamentspräsident in Brüssel. Es könnte auch aus unerwarteter Richtung Hilfe geben. Denn der aus Rumänien kommende Agrarkommissar Dacian Ciolos baut zurzeit die EU-Landwirtschaft gründlich um. Sie soll dezentraler und grüner werden. Würden diese Reformen auch nur zum Teil umgesetzt, wäre das auch ein nachhaltiges Aufbruchsfanal für die Lausitz. Seit über 16 Jahrhunderten wird in der Lužica Sorbisch gesprochen und gesungen. Der Kohleraubbau jedoch lässt die Landschaft verschwinden, die das Sorbische bis heute hervorbringen konnte. 





Buckingham Palace Gates open for Sorb Delegation
Jan Nuk, Tomaš Kappa (Halo Energy, London 2002)



Beim Empfang im Buckingham Palace überreichten Jan Nuk und der Autor ein blau gebundenes Buch mit dem Titel "Dwe Lubosci Ja Mam - Zwei Lieben trage ich in mir": Shakespeares Sonette auf Sorbisch. In Anlehnung an Worte des Philosophen Peter Sloterdijk ließe sich ausrufen, Deutsche und Sorben müssen erst einmal die Techniken des gemeinsamen Überlebens einüben. Das Know-how dafür ist freilich der größte noch ungehobene Schatz. Auch die Lausitz kann zu einem kosmopolitischen CleanTech-Land aufsteigen. Wovon ironischer Weise auch die deutsche Mehrheit profitieren würde.


Vater hatte gegen Ende seines Lebens immer öfter sorbische Worte gebraucht. Nach seinem Ableben fand sich auf dem Wohnzimmertisch seiner wie für einen Besuch aufgeräumten Stube ein Quittungszettel. Auf dem Vater nichts weiter notiert hatte als: "Witajci k nam" und in der Zeile darunter ebenfalls auf Sorbisch: "Glück dem Heimkehrenden".






* Article "Schatzjagd im Sorbenland”, Treasure Hunt in Lusatia," published by Pogrom-Magazin of the "Society for Threatened Peoples – Gesellschaft für bedrohte Völker“, by Ralph Th. Kappler / Tomaš Kappa, Göttingen 2012


*
 Press Release: Sorbian Delegation at the London based Foreign Press Association
  Joint statement of HALO ENERGY and DOMOWINA, London 2002

  https://independent.academia.edu/RalphThomasKappler


* Sorbian Wendish EU Memorandum to EU-President José Manuel Barroso,
   Sorbisches EU Memorandum an EU Präsident
José Manuel Barroso, 
  
Brussels / Budyšin / Bautzen, 7th of June 2012    

   https://independent.academia.edu/RalphThomasKappler


*
Ralph Th. Kappler / Tomaš Kappa founded the HALO ENERGY
  CleanTech communications network in 2002 in London. 



Distributed by HALO ENERGY

Web: https://www.halo-energy.com







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